Rede Gedenken Opfer des Faschismus
10. September 2017
Den Unbeirrten
Sie haben euch in die Höllen gesperrt
Und eure Gesichter zu Fratzen verzerrt.
Sie haben euch Hirne und Herzen zerkrallt
In Dachau, in Belsen, in Buchenwald.
Und wenn man uns fragt, wo Deutschland denn war,
Wir weisen auf euch als die heilige Schar.
Mayer geb. 1889 in Köln, Exil in Mexiko. Nach dem Manuskript veröffentlicht in einer Werbeschrift für das Hilfswerk für Deutschland in Mexiko 1945.
Zitiert nach: Kaiser, Bruno (Herausgeber): Das Wort der verfolgten. Anthologie eines Jahrhunderts. Büchergilde Gutenberg, Berlin 1948. S. 313.
Der »heiligen Schar« ehrend zu gedenken und gleichermaßen laut und vernehmlich, für jeden verständlich zu mahnen, finden wir uns traditionell am zweiten Septembersonntag zusammen.
Und es ist uns Verpflichtung, das Vermächtnis des antifaschistischen Widerstands und der Opfer des deutschen Faschismus zu bewahren.
Besonders auch deshalb, weil nach der Befreiung vom Faschismus der antifaschistische Konsens so sehr vernünftig war. Nie wieder sollte es Faschismus geben und für immer sollte der Krieg geächtet sein. Was hätte vernünftiger und dringlichere Aufgabe sein können?
Sich dem heute zuzuwenden, weil Nazis frech das Haupt heben, weil Rassisten hetzen, Menschen gejagt werden, Rechtspopulisten Menschen »in Anatolien entsorgen« möchten, ist mit der Möglichkeit verbunden, als so genannter Linksextremist ins Blickfeld derer zu geraten, die vorgeben, die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland zu schützen.
Nicht zu billigende Straftaten anlässlich des G 20 Gipfels in Hamburg im Juli diesen Jahres lösten dubiose Aktivitäten aus. Man wolle den Linksextremismus mit genau der Härte verfolgen wie den Rechtsextremismus.
Nun ist hinlänglich bekannt, dass, was Rechtsextremismus genannt wird, nicht unbedingt ernsthaft bekämpft worden wäre. Beredte Zeugnisse sind das Nichtverbot der als verfassungsfeindlich eingeschätzten NPD, das Nichterkennen des Nationalsozialistischen Untergrunds, die schonende Behandlung bekennender Nazis, um Weniges zu nennen.
Es heißt, man müsse sich mit den Rechtspopulisten politisch auseinandersetzen. Tatsächlich setzt man sich mit ihnen zusammen, schafft ihnen Tribünen, wo immer möglich.
Juristisch würden rechte Straftaten verfolgt, tönt es.
Vier mutmaßliche Täter, die sich am 19. Februar 2011 (!) an der Zerstörung des Hauses eines linken Projekts in Dresden beteiligt hatten, standen jetzt endlich vor Gericht, um nach zwei Stunden Verhandlung zu erfahren, dass viel dafür spräche, die Taten begangen zu haben, das aber nicht nachgewiesen werden konnte. Sie verließen als Freie feixend das Gericht.
Tim H. war Teilnehmer einer Blockade gegen den Naziaufmarsch in Dresden. Sechs Jahre dauerte die Gerichtsposse, bis er 2017 endlich freigesprochen wurde.
Das sind zwei Beispiele für die Bedingungen, unter denen die Bekämpfung des Linksextremismus stattfinden wird.
Scheinbar nebenbei werden durch den starken Staat die Grundrechte Stück um Stück abgebaut. Es ist schon bemerkenswert, wenn eine von der Polizei so bezeichnete »Embryonalhaltung« gerichtsnotorisch zu Widerstand wird.
In gewohnter Weise werden Unterstellungen in die Welt gesetzt, die sich nach kurzer Zeit als unwahr herausstellen, aber nicht öffentlich widerrufen werden.
Am Gedenktag für die Opfer des Faschismus feststellen zu müssen, dass die Hatz begonnen hat, birgt Tragik in sich. Es ist geboten, wachsam zu sein.
Menschen, die sich dem Antifaschismus verpflichtet fühlen, die das Vermächtnis der Opfer des Faschismus bewahren, verdienen hohe Achtung und Solidarität. Es darf einfach nicht zugelassen werden, dass in der so hoch gelobten Demokratie eines Tages wieder auf eine »heilige Schar« gewiesen werden muss.
Gerhard Hoffmann