Rede OdF Gedenktag 2018

10. September 2018

Die Glocke von Buchenwald ertönte am 14. September 1958 zum ersten Mal. Der zweite Septembersonntag war in der Deutschen Demokratischen Republik der Gedenktag für die Opfer des Faschismus. An jenem versammelten sich über 80.000 Menschen, darunter 4000 ausländische Gäste, um an der Einweihung der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald teilzunehmen. In den Feuerschalen der Pylonen an der Straße der Nationen mahnten die Flammen. Die feierliche Einweihung der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte nahm der erste Ministerpräsident der DDR, Otto Grotewohl, vor. In seiner Ansprache sagte er:

»Zum ersten Mal schwingen heute die Glockentöne vom Turm der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte weit hinaus ins Land […] Die Stimmen der Toten und der Lebenden vereinigen sich in den Glockentönen zu dem mahnenden Ruf: Nie wieder Faschismus und Krieg … Friede sei ihr erst‘ Geläute.[…] Über dieser Stunde steht das Wort: >Ruhm und Ehre den Helden des Widerstands und den Opfern des faschistischen Terrors<! Von hier aus erheben wir unsere Stimme in alle Richtungen und zu allen Menschen in Deutschland und über die Grenzen Deutschlands hinaus. Wir rufen die Lebenden zum Handeln. Wir mahnen sie, im Kampf gegen den Faschismus nicht zu erlahmen und die Menschen für den Frieden der Welt weiter zum Erfolg zu führen. […] Völker aller Länder, verteidigt das höchste Gut der Menschheit, den Frieden […] «1

Fortan besuchten Millionen Menschen aus dem In- und Ausland diese Stätte.
Jahrzehnte erfolgreichen Wirkens der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Mahn- und Gedenkstätte, in das stets Überlebende mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen einbezogen waren, fanden mit der Veränderung der politischen Verhältnisse in Deutschland ihr Ende.
Die Umgestaltung der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte in die Gedenkstätte Buchenwald führte zwangsläufig zu inhaltlichen Konsequenzen. Vom »verordneten Antifaschismus« ist nach wie vor die Rede. Das Gedenken trat in den Vordergrund, obwohl ausreichend Veranlassung besteht, das Mahnen nicht auszugrenzen.
Das Vermächtnis des organisierten antifaschistischen Widerstands im KZ Buchenwald, und nicht nur dort, in Frage zu stellen, bedeutet, jenen das Tor zu öffnen, die rechtspopulistisches und neofaschistisches Gedankengut befördern und hoffähig machen.
Rostock, Hoyerswerda, Mölln, in Köln randalierende Hooligans, in Dresden marodierende Pegida, Leipzig – Connewitz (die Aufzählung ist mangelhaft unvollständig) sind Stationen einer Entwicklung, die plötzlich wegen Chemnitz die Regierenden erschüttert. Sie sollten sich erinnern, dass Bundeskanzler Adenauer 1952 im Bundestag forderte, mit der Naziriecherei Schluss zu machen, was mit unglaublicher Intensität geschah. War das vielleicht nicht verordneter Faschismus?

Die Vernetzung von AfD, Pegida, NPD, III.Weg, Die Rechte, Identitären, Reichsdeutschen hat den Test bestanden. Die Mitte fühlt sich angesprochen und läuft mit. Der Staat wurde in Chemnitz vorgeführt. Und nun »muss die schweigende Mehrheit endlich lauter werden«, wie der Außenminister verlangt? Ich habe mit dem Verfassungsschutz nichts am Hut, aber den jetzt vor das AfD-Loch zu schieben, ist an Lächerlichkeit kaum zu überbieten und schlicht widerlich.
Der Kerngedanke des Schwurs von Buchenwald

» […] Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel […] «

hat seine Berechtigung behalten. Gerade weil er heute in Deutschland institutionellen Angriffen ausgesetzt ist, muss daran erinnert werden, dass er sinnstiftend für Errichtung und Arbeit der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte war. Es gibt für die Menschheit kein erstrebenswerteres Ziel, als im Schwur von Buchenwald formuliert.
So bleibt der Schwur auch für die Nachgeborenen verbindlich wie das beständige Mahnen und Gedenken.

Gerhard Hoffmann

1 Zitiert nach: Buchenwald mahnt. Volksverlag, Weimar, 1961. S.7 ff.