Rede Liebknecht Luxemburg Gedenken 2017

22. Januar 2017

gh_143506Traditionell treffen wir uns am Anfang des Jahres, um Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts zu gedenken.
In diesem Jahr kommt hinzu, dass mit unvergleichbar höherem Aufwand des Beginns der Reformation und der Rolle Martin Luthers gedacht werden wird.
Luther und Liebknecht!
Am 24. Juni 1909 trug Karl Liebknecht den Abgeordneten des Preußischen Landtags folgendes vor:
»Es war ein Reformator namens Bucerus, ein Freund von Luther und Zwingli […], der im Jahre 1526 gesagt hat […]: ‚Wenn man den Wölfen befiehlt, dass sie Schafe hüten sollen, oder den Katzen, dass sie die Bratwürste warten sollen, mag man wohl bedenken, wie sie behütet werden. Gleicherweise ist jetzt der arme Mann behütet.‘ […]1«
Da ich Bucerus und Liebknecht bemühe, um gesellschaftliche Missverhältnisse anzudeuten, plagt mich fast das Gewissen, hörte ich doch gerade in der letzten Bundespräsidentenrede, dass wir in einem Land leben, das »das beste, das demokratischste Deutschland [ist], das wir jemals hatten.«2
Dass dieser Pastor keine Bodenhaftung hat und Ungeist nicht wahrzunehmen vermag, ist nicht neu.
Ich stelle jedoch die Frage, wie wohl die neuste »Super-Fregatte« F125 das Beste und das Demokratischste in Deutschland befördert.
Diese Fregatte, heißt es, sei der neue Stolz der Marine. Die erste ist es von vieren diesen Typs für 3,1 Milliarden Euro. Der Wirtschaftsjournalist der »Welt«, Olaf Preuß, schrieb dazu: » Jede F125 […] hat den Wert einer Elbphilharmonie.«3 Und dann wurden ihm die Kniee weich und der Magen flau, »Relingwetter für Landratten«, charakterisierte er seinen Schwächeanfall.
Dieses Schiff »kann mit [seinen] ferngesteuerten Maschinengewehren Piraten bekämpfen [die sich bekanntlich in deutscher Ost- und Nordsee in Massen tummeln] und mit ihren Speed-Booten Spezialkräfte anlanden. [Es] trägt Distanzwaffen wie die neue 127-Millimeter-Kanone mit bis zu 80 Kilometer Reichweite und die Abschussvorrichtung für ‚Harpoon‘ Flugkörper mit bis zu 140 Kilometer Reichweite […]«4
Bucerus: »Gleicherweise ist jetzt der arme Mann behütet.«
Nein! Das Karzinom Krieg wird in seinem Wachstum durch NATO-Metastasen beschleunigt. Auch durch die nach Litauen verlegte Panzertruppe der Bundeswehr: 600 Frauen und Männer, 26 Panzer, 170 Militärfahrzeuge. Einhundert Kilometer von der russischen Enklave Kaliningrad entfernt wird der deutsche Stützpunkt eingerichtet. Keine Rede von einem Angebot der Vernunft.
Nein! Panzer sind es aus dem » beste[n], demokratischste[n] Deutschland, das wir jemals hatten.« Wohl ein Grund, dringend den Wahrheitsgehalt präsidialen Geredes anzuzweifeln.

Der Maler Max Liebermann sprach nach dem 30. Januar 1933 in Berliner Mundart:» Ick kann jar nich so ville fressen, wie ick kotzen möchte.«5
Dieses drastische Zitat bezieht sich ebenso auf das ausgebliebene NPD-Verbot. Es scheint in Deutschland permanente Ursachenresistenz zu bestehen.
1956 war es eine angebliche aggressiv-kämpferische Grundhaltung und die marxistisch-leninistische Orientierung, die das bis heute gültige Verbot der KPD begründete.
Da ist eine verfassungsfeindliche Partei, deren aggressiv verbreitete Naziideologie seit 1990 zweihundert Menschen das Leben kostete, gerichtsnotorisch so unbedeutend, dass man sich nicht getraut, ihr die Legalität zu entziehen. Wie auch, wenn ein Beamter des Staates, seines Zeichens Geschichtslehrer, folgenlos seine offensichtlichen Vorbilder Hitler und Goebbels in Dresden, in der »Stadt des Widerstandes« kopieren darf. Die NPD ist für ein Verbot zu unbedeutend, genau wie der Postkartenmaler aus Braunau – und der setzte die Welt in Flammen. Versöhnlerisch heißt es, man müsse sich politisch mit den Nazis auseinandersetzen. Das wäre schon 52 Jahre möglich und dringend nötig gewesen, denn so lange existiert dieser braune Haufen.
In einem Flugblatt des Spartakusbundes vom Mai 1905 schrieb Karl Liebknecht:
»Die Feinde des Volkes rechnen mit der Vergesslichkeit der Massen – wir setzen dieser Spekulation entgegen die Losung: Alles lernen, nichts vergessen!«6
Verhalten wir uns und handeln wir in diesem Sinne!

Gerhard Hoffmann
Januar 2017

Anmerkung:

Silvia Gingold, Friedensaktivistin, Antifaschistin, Tochter der Widerstandskämpfer Etti und Peter Gingold klagt in Hessen gegen ihre seit den 1970er Jahren durchgeführte Überwachung durch den Verfassungsschutz. Als Begründung für die anhaltenden Spitzelei wird vom Verfassungsschutz u.a. angeführt, dass sie sich im Umfeld von Personen und Gruppen aufhalte, die als extremistisch eingestuft werden – vom Verfassungsschutz! Es heißt, Silvia Gingold sei für die VVN-BdA aktiv, die sich auf den Schwur von Buchenwald beruft, der sich, so der Verfassungsschutz, auf die Dimitroffsche Faschismustheorie stütze. Insofern lehne die VVN-BdA die freiheitlich demokratische Grundordnung ab.
Ich erkäre: Den Schwur von Buchenwald leisteten 21.000 Überlebende angesichts von 56.000 Toten. Es ist eine bodenlose Gemeinheit, dass Opfer und Überlebende des faschistischen Terrors durch Beamte der BRD in dieser Art und Weise folgenlos beleidigt werden dürfen. Diese ahistorische und triefend antikommunistische Denkart befördert genau den Populismus, über den momentan Betroffenheit geheuchelt wird.
Meine Solidarität gilt Silvia Gingold und all meinen so genannten linksextremistischen Freundinnen und Freunden.

Gerhard Hoffmann
22. Januar 2017

1 Liebknecht, Karl: Ausgewählte Reden, Briefe und Aufsätze. Dietz-Verlag, Berlin 1952. S. 135 f. 2 http://www.spiegel.de/politik/deutschland/joachim-gauck-abschiedsrede-des-bundespraesidenten-im-wortlaut-a-1130505.html; gh 20.Januar 2017. 3 Zitiert nach: Huth, Stefan: Landratte des Tages: Olaf Preuß. In: junge Welt, 16. Januar 2017. 4 Ebenda. 5 Küster, Bernd: Max Liebermann. Ein Malerleben. Ellert & Richter. Hamburg 1988. S. 216 6 Liebknecht, Karl: Ebenda S. 297