Ostermärsche 2012 warnen vor neuen Kriegen

28. März 2012

Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag

Die Serie der diesjährigen Ostermärsche für Frieden und Abrüstung beginnt am kommenden Samstag in Potsdam. Dort rufen die Friedenskoordination Potsdam und die „Soziale Bewegung Land Brandenburg“ zu einer Demo und Kundgebung auf, die unter dem Motto steht: „Für eine Welt ohne Krieg – gegen Armut und soziale Ausgrenzung“. Damit ist auch die politische Spannweite der Anliegen der Friedensbewegung angedeutet: Ohne Frieden ist zwar alles nichts, aber Frieden ist noch nicht alles. Die Friedensbewegung versteht sich selbst als Teil der sozialen Bewegungen, die für eine Welt der ökonomischen und sozialen Gerechtigkeit und der ökologischen Vernunft eintreten.

Die friedenspolitische Agenda der Ostermarschierer ist selbst schon weit gesteckt und vielfältig – und entspricht dem Charakter der vor 52 Jahren begonnenen Tradition der Ostermärsche, keinen zentralen Losungen oder Vorgaben zu folgen (die Friedensbewegung selbst ist bunt und heterogen und hat kein „institutionalisiertes Zentrum“), sondern die Schwerpunkte aus der jeweiligen Arbeit vor Ort zu entwickeln. Diese Vielfalt spiegelt sich in den vielen Aufruftexten der lokalen oder regionalen Friedensbündnisse wider. Dennoch kennzeichnet die diesjährigen Ostermärsche eine Reihe übereinstimmender Themen und Forderungen. So bleibt überall der Afghanistankrieg im Fokus der Demonstrationen. Gerade die jüngsten Ereignisse (Koranverbrennung, Amoklauf und die Reaktionen in der afghanischen Bevölkerung) haben deutlich gemacht, dass dieser Krieg weder militärisch noch politisch für die Interventionsmächte zu „gewinnen“ ist. Viele Regierungen denken inzwischen darüber nach, die Truppen noch vor dem versprochenen Abzugstermin 2014 zurückzuholen. So oder so ist die Bilanz des nun elfeinhalb Jahre dauernden Krieges derart desaströs, dass die Kriegsallianz nur noch darüber nachsinnt, wie sie aus diesem Konflikt wieder herauskommt, „ohne das Gesicht zu verlieren“. Dabei sollte sich der Westen eher darum sorgen, überhaupt erst ein freundliches Gesicht zu bekommen: durch das Eingeständnis, der Krieg sei ein Fehler gewesen, und durch den sofort Beginn des Abzugs der Truppen.

Doch während die NATO den Krieg in Afghanistan weiter führt, denken ihre Strategen bereits über neue Kriege nach. Im Visier der NATO sind Syrien und Iran, zwei Staaten im Nahen/Mittleren Osten, die sich gegenüber den westlichen Führungsansprüchen unbotmäßig verhalten, sodass unverhohlen ein Regimewechsel gefordert wird und alle Register der politischen Eskalation gezogen werden. Das weitere Schrauben an der Sanktionsspirale gegen Syrien – woran sich die EU trotz aller Friedensbeteuerungen an vorderster Front beteiligt – und die verschärfte Kriegsrhetorik gegenüber Iran bringen den Konflikt immer näher an einen Krieg heran. Die Folgen wären vieltausendfacher Tod von Menschen – Soldaten und Zivilpersonen -, die radioaktive Verseuchung großer Landstriche in Iran, die durch die Bombardierung von Nuklearanlagen herbeigeführt würde, die weitere Eskalation des Bürgerkriegs in Syrien (die Intervention verhälfe der aufständischen „Freien Syrischen Armee“ zu einer „Luftwaffe“) und die Destabilisierung der ganzen Region. Sowohl von der Friedensforschung als auch von der Friedensbewegung wurden gegen dieses Schreckensszenario gangbare Alternativen entwickelt, um zur Politik, zur Diplomatie und zur Zusammenarbeit zurückzufinden.

Die wichtigsten Schritte hierzu sind in Bezug auf den Iran: Der Westen muss die Urananreicherung im Iran akzeptieren. Urananreicherung für zivile Zwecke – auch wenn wir die nicht-militärische Nutzung der Kernenergie ablehnen – muss dem Iran genauso zugestanden werden, wie jedem anderen Land der Welt. Warum sollte der Westen dem Iran nicht 20-prozentiges Uran liefern – so wie es 2011 von Ahmadinedschad gefordert worden war. Im Gegenzug müsste sich Teheran verpflichten, zusätzliche internationale Kontrollen der iranischen Atomanlagen zuzulassen. Zur Entspannung in den Beziehungen würde auch beitragen, wenn der Westen die Sicherheitsinteressen des Iran genauso ernst nähme wie diejenigen anderer Staaten des Nahen und Mittleren Ostens. Von Deutschland verlangen wir, dass sich Berlin weiterer Sanktionen enthalten sollte, da sie bestenfalls nutzlos, schlimmstenfalls eskalationsfördernd sind. Die bereits verhängten Sanktionen müssten schrittweise aufgegeben werden. Außerdem sollte die Bundesregierung unmissverständlich deutlich machen, dass sie jegliche militärische „Lösung“ ablehnt.

Auch hinsichtlich der syrischen Frage fordern wir: Eine klare Absage an alle Gedankenspiele über eine militärische Intervention; Ausstieg aus dem Sanktionsmechanismus der EU und Zurücknahme bisher erfolgter Sanktionen; stattdessen Umsetzung eines allgemeinen Waffenembargos; d.h. auch für den Rüstungsexportriesen Deutschland: Sofortiger Stopp aller Waffenlieferungen in die Staaten des Nahen und Mittleren Ostens; dies schließt Schützenpanzer in die Vereinigten Emirate genauso ein wie Kampfpanzer nach Saudi-Arabien oder U-Boote nach Israel. Bereitstellung humanitärer (z.B. medizinischer) Hilfe für Syrien, allerdings ohne jeglichen „militärischen Begleitschutz“; Erlass eines sofortigen Abschiebestopps für Flüchtlinge aus Syrien; ihnen kommt der Status von Kriegsflüchtlingen zu und sie fallen somit unter die Genfer Flüchtlingskonvention; darüber hinaus sollte syrischen Flüchtlingen ein Aufenthalt in den Staaten der Europäischen Union angeboten werden.  Die Annahme des Plans des UN-Vermittlers Kofi Annan durch die syrische Regierung, welcher eine Waffenruhe, den Rückzug der syrischen Sicherheitskräfte aus den Städten und den Beginn eines umfassenden Dialogs vorsieht, weckt die Chance auf ein Ende der Gewalttätigkeiten – jedoch nur dann, wenn die bewaffnete syrische Opposition einwilligt. Hier ist die Bundesregierung gefordert, ihren Einfluss auf die Opposition geltend zu machen.

In zahlreichen Ostermarsch-Aufrufen wird der Rüstungsexport thematisiert. Deutschland ist in die Spitzengruppe der größten Waffenexporteure der Welt (dritter Platz hinter USA und Russland) aufgestiegen und somit verantwortlich für die Versorgung der halben Welt (geliefert wird in über 80 Staaten) mit todbringenden Waffen. Waffen die von Regimen gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden können, Waffen die in Bürgerkriegen – häufig auf allen Seiten der Fronten – Verwendung finden, Waffen, die in Spannungsgebieten zu immer weiterer Aufrüstung beitragen. Waffenexporte insbesondere in die Dritte Welt behindern Entwicklung und verschärfen Spannungen. Sie sind zu stoppen.

Die Bundesregierung will im Zuge einer großen Bundeswehrreform die Zahl der dauerhaft einsetzbaren Soldaten im Ausland von 7.000 auf 11.000 erhöhen. Neue Waffensysteme ermöglichen ihr noch mehr Möglichkeiten überall militärisch einzugreifen zu können. Luftwaffe und Marine erhalten Marschflugkörper. Auch die Marine soll an Land schießen können. Weitreichende Transportflugzeuge sollen Infanteristen und Schützenpanzer an entlegene Einsatzorte transportieren. Radarsatelliten und Großdrohnen sorgen zuvor für die weltweite Aufklärung. Kritisiert wird, dass damit Interessenpolitik  durchgesetzt werden soll. Denn in den Richtlinien heißt es: „Zu den deutschen Sicherheitsinteressen gehört (…) einen freien Zugang (…) zu natürlichen Rohstoffen zu ermöglichen.“

Die Bundeswehr ist bestrebt, durch verstärkte Werbeanstrengungen – auch unter arbeitslosen Jugendlichen – dem Schwund an Nachwuchs entgegen zu wirken. Zugleich wird damit die innere Militarisierung vorangetrieben. Diese Offensive setzt auf die Militarisierung der Bildung und des Denkens und macht weder vor Schule, Hochschule und Arbeitsagenturen noch vor Jahrmärkten und Volksfesten halt. Auch die Landkreise und kreisfreien Städte werden über die Beauftragten der Bundeswehr für zivilmilitärische Zusammenarbeit (BeaBwZMZ) in die Kooperation mit der Bundeswehr hineingezwungen. So sitzen nun in den Krisenstäben der Kommunen „Verbindungskommandeure“, die nicht auf ihre Landräte und Bürgermeister, sondern auf ihre militärischen Vorgesetzten hören. Die Friedensbewegung ist an vielen Orten aktiv, um die ideologische Offensive der Bundeswehr abzuwehren, die sich heute in Kommunen, an Schulen, Messen („Karrieretreffs“) oder bei Gelöbnissen und Zapfenstreichen manifestiert. Die bislang in acht Bundesländern abgeschlossenen Kooperationsverträge Bundeswehr-Schule sind aufzuheben. An Universitätsstandorten geht es darum, den Kampf der Studierenden für den Erhalt schon bestehender bzw. die Einführung von „Zivilklauseln“ zu unterstützen. Stiftungsprofessuren, die von Rüstungskonzernen gesponsert werden, werden von der Friedensbewegung abgelehnt.

Die Ostermärsche sind aus dem Kampf gegen die Atomwaffen entstanden. Der Einsatz atomarer Waffen und deren Ersteinsatz bleiben Teil der strategischen Planung der NATO und anderer Atommächte. Von den Atomwaffen besitzenden Staaten fordern wir, dass sie nicht nur den Mund spitzen (darin ist Obama Meister), sondern mit der Abrüstung auch wirklich Ernst machen. Atomwaffenfreie Zonen, z.B. auch für den hochexplosiven Nahen und Mittleren Osten, können geeignete Schritte auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt sein. Als deutschen Beitrag zur atomaren Abrüstung fordern wir den Abzug der US-Atomwaffen aus Büchel und die Beendigung der atomaren Teilhabe im Rahmen der NATO. Das verheerende Unglück von Fukushima hat erneut gezeigt, dass die Kernkraft – auch wenn sie „nur zivil“ genutzt wird – voller unkalkulierbarer Risiken und letztlich nicht beherrschbar ist. Zusammen mit der Antiatom-Bewegung fordern wir daher den schnellen und unumkehrbaren Ausstieg aus der Kernenergie.

Die Ostermärsche vor einem Jahr standen unter dem Eindruck der Atom-Katastrophe von Fukushima. Antiatom-Bewegung und Friedensbewegung sind zu zig-Tausenden auf die Straße gegangen. Dadurch haben die Ostermärsche eine Größe erreicht wie lange Jahre nicht mehr. Auch wenn sich das aufgrund geänderter Rahmenbedingungen in dieser Größenordnung möglicherweise nicht wiederholen lässt, hoffen die Organisatoren der rund 100 Ostermärsche im ganzen Land auf breite Resonanz in der Öffentlichkeit.