Rede zum Welfriedenstag

11. September 2011

In diesen Sonnabend, einen Sonnentag in Berlin, einen sommerlich bedeckten in Moskau, in diesen 21. Juni 1941 drang die Kunde vom begonnenen deutschen Krieg gegen die Sowjetunion. Wie schon am 1. September 1939, als siegesbesoffene deutsche Soldaten polnische Grenzmarkierungen niederrissen, jagten sie jetzt mit Panzern, mit Bombenflugzeugen und dem ganzen Militärgerümpel wieder als Eroberer in ein überfallenes Land. Dem Barbarentum war das Tor aufgeschlagen worden: Verbrannte Erde, Kommissarbefehl, Judenpogrome und –vernichtung, Partisanenjagd, Kessel, Blockade Leningrads, Stalingrader Schlacht, Panzerschlachten, schließlich die Schlacht um die Seelower Höhen und um Berlin stehen für Verbrechen, die zu beschreiben nach wie vor die Worte fehlen. Nach Beendigung der Kriegshandlungen mussten 56 Millionen Tote beklagt werden, in der Sowjetunion hatten 20 Millionen den verbrecherischen Irrsinn mit dem Leben bezahlt.

Ilja Ehrenburg schrieb in seinen Memoiren

»Haß gegen den Feind spürte ich zum erstenmal, als unsere Truppen bei der Gegenoffensive vor Moskau Dörfer einnahmen, die die Deutschen in Schutt und Asche gelegt hatten. An den verkohlten Balken wärmten sich Frauen und Kinder […] Der Krieg, den Hitlerdeutschland begonnen hatte, kannte nicht seinesgleichen. Er tötete und verstümmelte nicht nur physisch, er entstellte auch die geistige Welt von Menschen und Völkern. Die Nazis hatten es geschafft, Millionen von Deutschen Verachtung gegen alle einzuflößen, die anderer Herkunft waren […]« 1

Krieg verstümmelt nicht nur physisch, er entstellt auch die geistige Welt von Menschen und Völkern. An diesen, in Kriegen bis in die Gegenwart immer wieder bewiesenen, Tatsachen ändern wohlfeile Kriegsbegründungen oder Kriegsumschreibungen nichts Und es spielt keine Rolle, welche Taktik in kriegerischen Unternehmungen angewendet wird. Es ist Ausdruck der Verstümmelungen geistiger Welt, wenn eine so genannte »Staatengemeinschaft« oder eine »Koalition Williger«, ein Militärbündnis Krieg führen und dabei zynisch das Ziel heucheln, Zivilbevölkerung schützen zu wollen.

Am 23. August diesen Jahres hatten die NATO-Buchhalter registriert, dass »[…] seit dem 31. März 19 877 Flüge, darunter 7505 mit Waffeneinsatz« in Libyen stattfanden. Die Anzahl ausgeklinkter Bomben und abgefeuerter Raketen bleibt geheim und die Opfer werden nicht erfasst. Wieviel Angriffe vor dem 31. März 2011 geflogen wurden, ist nicht bekannt. Der Krieg begann mit Luftangriffen der USA, Großbritanniens und Frankreichs am 19. März 2011.

Nicht geredet wird von zerstörten Häusern, Schulen, Rundfunkstationen, Infrastruktur. Ein Angriff auf das Dorf Majer forderte 85 Tote, Bewohner des Dorfes, Frauen und Kinder.

Der bekannt gewordene Luftangriff auf die Übertragungsanstalt das libyschen Fernsehens war ein eklatanter Verstoß gegen internationales Recht, was die NATO in keinster Weise anficht, genau so hatten NATO-Flugzeuge 1999 die Rundfunk- und Fernsehanstalt in Belgrad bombardiert.

Und es wird für uns gelogen, all das geschehe zum »Schutz der Zivilbevölkerung«. In was für einer verstümmelten geistigen Welt müssen sie leben, die uns solche Lügen unterschieben?

Wir leben nach wie vor in einer Welt mit Kriegen und Lügen. Zu oft noch werden diese als »fernab vom eigenen Alltag« wahrgenommen. Die UNO hat zugelassen, »dass die NATO ein Land überfällt und dessen Regime wegbombt. Auf der Strecke blieben die in der UNO-Charta verankerten Prinzipien des Gewaltverbotes (Artikel 2,4), der territorialen Integrität und staatlichen Souveränität (Artikel 2,2) und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der Staaten(Artikel 2,7). Unter Berufung auf eine besondere >Schutzverantwortung< (>Responsibility to Protect<) hat der UN-Sicherheitsrat das Geschäft der NATO besorgt und das Völkerrecht weiter ausgehöhlt«, stellen Lühr Henken und Peter Strutinsky fest.

Der diesjährige Weltfriedenstag mit besonderem Blick auf den 70. Jahrestag des faschistischen Überfalls auf die Sowjetunion macht deutlich, dass der Frieden der Welt nach wie vor und vielleicht sogar mehr denn je bedroht ist. Das veranlasste die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, die ich hier vertrete, zur Wortmeldung. Wir wollen an die Worte Bertolt Brechts auf dem Völkerkongress für den Frieden 1952 in Wien erinnern

»Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. Ihre Vorstellungsgabe für kommende Leiden ist fast noch geringer. Die Beschreibungen, die der New Yorker von dem Gräuel der Atombombe erhielt, schreckten ihn anscheinend nur wenig. Der Hamburger ist noch umringt von Ruinen, und doch zögert er, die Hand gegen einen neuen Krieg zu erheben. Die weltweiten Schrecken der vierziger Jahre scheinen vergessen. Der Regen von gestern macht uns nicht nass, sagen viele. Diese Abgestumpftheit ist es, die wir zu bekämpfen haben, ihr äußerster Grad ist der Tod. Allzu viele kommen uns heute schon vor wie Tote, wie Leute, die schon hinter sich haben, was sie vor sich haben, so wenig tun sie dagegen. Und doch wird mich nichts davon überzeugen, dass es aussichtslos ist, der Vernunft gegen ihre Feinde beizustehen. Lasst uns das tausendmal gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde! Lasst uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind! Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind, und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden. «

Gerhard Hoffmann