Endlich die richtigen Schlüsse ziehen…

23. Januar 2007

Nun ist es wieder soweit: Nach mehrjähriger Abstinenz demonstriert die NPD wieder einmal in Frankfurt (Oder) und besucht die selbsternannte Kleiststadt am Grenzfluss mit ihrem nationalen Straßenzug. Monate zuvor entdeckten die „aufrichtigen Demokraten“ durch die antisemitische Gedenksteinschändung am 9. November die braune Gefahr. Allen voran schwadroniert nun der Oberbürgermeister der Stadt, Martin Patzelt (CDU), mit Blick auf den 27.1. lauthals von Blockaden. Mittlerweile können wir aber nichts mehr vom „Stadtvater“ erwarten. Allein im Jahr 2006 hat ihn weder der Freitod eines Hartz-4 Empfängers, die Ermordung eines Obdachlosen, noch der Fenstersprung mit darauf folgender Querschnittslähmung eines Migranten geschockt.
Eine öffentliche Diskussion über die Ursachen hat nie stattgefunden. Auch mit den Problemen des Rechtsextremismus wurden die Opfer alleine gelassen. Naziaktivitäten in der Stadt wurden verharmlost oder totgeschwiegen. Die Reorganisation der NPD sowie die Formierung rechtsextremistischer Ultras rund um den Fußballverein FFC Viktoria Frankfurt (Oder) wurde zu keinem Zeitpunkt ernst genommen. Stattdessen wurden Antifaschist_innen zu jeder erdenklichen Möglichkeit kriminalisiert und mit Repressionen überzogen. Eine alternative Jugendszene wurde in ihren Anfängen erstickt. Beispiele dafür gibt es viele: Die Hausbesetzung der „Villa Rosa“ im Jahr 2005 wurde mit SEK-Einsatz beendet, in der radikalen Linken wurde ein Spitzel installiert und gegen Antifas wird zur Eröffnung eines Verfahrens zur Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt. Erst kürzlich wurde durch die veröffentlichte Dokumentation eines Anwerbeversuchs durch den Verfassungsschutz deutlich, was Vater Staat vom antifaschistischen Engagement wirklich hält. Seit der Schändung des Synagogengedenksteines im Stadtzentrum zeigen sich die Lokalpolitiker_innen geschockt über die antisemitischen Kräfte in der Stadt. Schnell wurde über Konzepte und Möglichkeiten geredet, die den „Ewiggestrigen“ ein Ende setzten sollen. Auch die Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen steht dabei zur Debatte. Zudem war es offensichtlich, dass z.B. der Oberbürgermeister das Problem nicht beim Rechtsextremismus an sich sah, sondern viel mehr bei dem bundesweiten Imageverlust und den damit entstandenen Schaden am Wirtschaftsstandort Frankfurt (Oder). Solange aber nicht der Antisemitismus mehr zu beklagen ist, als irgendwelche Wirtschaftsschäden, sind die Reden des OB für eine demokratische und tolerante Gesellschaft nur als pure Heuchelei zu bezeichnen. Es ist der Versuch, aus Scheiße Gold zu machen – mehr nicht. Worin liegt unser Problem? Die Stadtoberen scheinen bei ihrem Gerede für Demokratie und Toleranz zu vergessen, dass die Ursachen für den Rechtsextremismus tief in der Gesellschaft verankert sind: 45% der in Brandenburg lebenden Menschen denken, dass es hier zu viele Ausländer_innen gebe. Paradoxerweise liegt die Immigrant_innenquote in Brandenburg nur knapp über 2%. Zugleich erliegt ein Großteil der Deutschen einem nationalem Superhype: 30% verlangen ein hartes Durchgreifen gegenüber dem Ausland, um deutsche Interessen durchzusetzen. Über 28% sehen das oberste Ziel deutscher Politik darin, der BRD international die Macht und Geltung zu verschaffen, die ihr zusteht. Auch wenn sich knapp 15% der Deutschen von Natur aus anderen Völkern überlegen fühlen, denken mehr als 38% der deutschen Bevölkerung, dass man doch endlich mehr Mut zu einem starken Nationalgefühl haben sollte. Da überrascht es wenig, dass mehr als 10% der Deutschen auch gute Seiten im Nationalsozialismus sehen können. Bei starker Arbeitslosigkeit seien doch bitteschön die Ausländer_innen wieder in ihre Heimat zu deportieren, darin sind sich 35% der deutschen Staatsbürger_innen einig.* Soviel also zu Sätzen wie: „Aus der Geschichte wurde gelernt, blabla…“ Auch die CDU, der Martin Patzelt als Frankfurter OB angehört, provoziert durch Leitkulturdebatten und Patriotismuskampagnen und ist so mitverantwortlich für rassistische Tendenzen in der Mitte der Gesellschaft. Durch sie wurde das Recht auf Asyl praktisch abgeschafft. Islamophobe Gesinnungen sind durch die Debatte um den Türkei-Beitritt erkennbar geworden: Ein Land mit islamischer Religion sei nicht mit der abendländischen, christlichen Kultur vereinbar und gehöre deshalb nicht in die EU, habe deshalb also auch kein Anspruch auf den €päischen Lebensstandart. Auf das Brücken bauen zwischen zwei Kulturen wird verzichtet und somit auch auf die Chance, einen Dialog mit der arabischen Welt eröffnen zu können. Auch Antisemitismus ist der CDU nicht fremd: Norbert Blüm, ehemaliger Arbeitsminister, spricht von einem „hemmungslosen Vernichtungskrieg“ Israels und setzt damit deutsche Kriegsverbrechen mit dem Recht auf Selbstverteidigung – für die Existenz – des jüdischen Staates gleich. So wird deutsche Geschichte relativiert, gleichgesetzt und verharmlost. Deutschland sei damals nicht anders gewesen, wie andere Länder, besonders Israel, also das Land der damaligen Opfer, heute. Nun findet am 27.1.2007 der Landesparteitag der CDU in Frankfurt (Oder) statt. Dies ist zugleich der Anlass für die NPD eine Demonstration vor Ort durchzuführen. Natürlich versucht sie durch die Anlehnung an den CDU Parteitag ihr antisemitisches Anliegen zu verschleiern, um so ein mögliches Verbot des Aufmarsches zu umgehen. Doch es steht nicht außer Frage, dass das Datum, der 27.1.07, für die NPD symbolischen Wert hat und damit der eigentliche Grund der Demonstration ist. Es ist der Befreiungstag des Konzentrationslagers Auschwitz, welches Sinnbild für den Vernichtungskrieg der Deutschen ist. Es ist der Ort, an dem die Deutschen ohne Gewissensbisse ihr bestialisches Werk, die Endlösung der Judenfrage, zu realisieren drohten. Dort richteten sie auf unvorstellbarer Weise u.a. sechs Millionen unschuldige Jüdinnen und Juden hin, egal ob Frau, Mann, egal ob jung oder alt. Aber nicht nur sie wurden dort vergast, auch Kommunist_innen, Homosexuelle, Sinti und Roma, die polnische Intelligenz sowie christliche Gegner_innen des Regimes vielen dort dem Größen- und Vernichtungswahn des nationalsozialistischen Deutschlands zum Opfer. Mittlerweile ist der 27.1. zum internationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus geworden. Die NPD wird indes bei der Demonstration in Frankfurt (Oder) einmal mehr versuchen, die Verbrechen für ihre Politik umzudeuten. Damit werden die Opfer verhöhnt und verspottet. Zudem wird es die NPD als einen Erfolg verbuchen, wenn es gelingt, eben an diesem Tag überhaupt demonstrieren zu dürfen. Auf der anderen Seite erscheint es fragwürdig, warum die Landes-CDU sich genau diesen Tag aussucht, um ihr zukünftiges Programm und diverse Personalfragen zu diskutieren. Sie selbst beschreibt sich als christdemokratisch, doch würden wirkliche Demokrat_innen den Tag nutzen, um den Opfern angemessen zu gedenken, statt parteiinterne Machtkämpfe auszutragen. Dass dabei sogar die traditionelle Gedenkveranstaltung für die Auschwitzbefreiung umziehen muss, weil eben genau die CDU an diesem Ort, dem Kleistforum, ihren Parteitag abhalten will, ist eine weitere zu kritisierende Tatsache. Wir fordern dich deshalb auf, den Kampf für ein selbstbestimmtes Leben hier in Frankfurt (Oder) und anderswo zu unterstützen. Versperre der NPD den Weg, um ihre Demonstration so zum Scheitern zu bringen. Der NPD den Weg zu blockieren muss aber auch heißen, konsequent die deutschen Verhältnisse anzugreifen, um den seit Jahrzehnten aufkommenden Nationalismus zu stoppen, die Emanzipation des Menschen zu ermöglichen und aus der deutschen Schuld die richtigen Schlüsse zu ziehen.