Rede OdF Gedenken 2020
15. September 2020
Vor 75 Jahren wurde zum ersten Mal mit einem gesamtdeutschen Gedenktag der Opfer und der Verfolgten des Naziregimes gedacht.
Dass wir uns heute zusammenfinden, regt zum Bedenken der Frage an, weshalb noch immer bewusst Menschen an die Opfer und Verfolgten des deutschen Faschismus erinnern und stets erneut mahnen, das Vermächtnis des deutschen antifaschistischen Widerstands zu bewahren.
Nicht starrsinniges Beharrungsvermögen führt uns hier zusammen, sondern der brennende Wunsch, Faschismus und Krieg mögen für alle Zeiten ausgemerzt sein, weil wir wissen, dass nur im Frieden menschliches Zusammenleben gewährleistet ist.
Zwei Wochen ist es her, dass unter dem Deckmantel Protest gegen Bestimmungen zur Abwehr der Corona-Pandemie Neonazis, so genannte Reichsbürger und andere Rückwärtsgewandte die Stufen des Reichstagsgebäudes besetzten. Im Internet war für den »Sturm auf Berlin« geworben worden. Die Gewalthaber sahen im Vorfeld keine Gefahren, sie bemerkten auch keine Aktivitäten der Neofaschisten. Als man sich dann wie nach einer durchzechten Nacht die Augen rieb ob des gelungenen Coups der Rechten, ging es nur um »schmähliche Bilder« vor dem Reichstagsgebäude und um die Erweiterung der Bannmeile.
Wir sagen: NEIN! Es geht darum, endlich das Übel an der Wurzel zu packen. Ein steiniger Weg wäre zu gehen.
Da wird in der Hauptstadt das Hohenzollern-Schloss in Beton gegossen. In Potsdam wird der Turm der Garnisonkirche fest gefügt, finanziert mit Steuermitteln.
Und die schwarz-weiß-roten Kaiserreichsfahnen sollen vielleicht nicht wehen dürfen?
Zugleich wird der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten die Gemeinnützigkeit aberkannt und noch immer verwehrt – wegen »linksextremistischer Beeinflussung«, wie beweislos behauptet wird.
Dass sich der Hass auf die Antifaschistinnen und Antifaschisten konzentriert, ist nicht verwunderlich. Seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde in allen Bereichen des politischen und gesellschaftlichen Lebens dieses Staates ehemaligen Nazis Tür und Tor geöffnet. Sie schufen einen Staat nach ihrem Bilde.
Dass sie dabei den Artikel 139 des Grundgesetzes mit Füßen traten, war nicht mal eine Fußnote wert. Dieser Artikel besagt: »Die zur Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus erlassenen Rechtsvorschriften werden von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt.«
Diese Rechtsvorschriften, daran sei erinnert, waren im Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 fixiert. Die gesellschaftlichen Verhältnisse seit 1945 haben fatale Entwicklungen genommen, weshalb das Potsdamer Abkommen schnell in der Versenkung verschwand. So brauchte der Artikel 139 GG nie wirklich ernst genommen zu werden. Im Gegenteil, er wurde als erledigt betrachtet, weil die so genannte Entnazifizierung als abgeschlossen erschien. Außerdem, hieß es, der Artikel enthalte nicht den Auftrag, Faschismus in der BRD konsequent zu bekämpfen. Schlussfolgerung: Es gibt keine Nazis! »Einzeltäter« gibt es, die auf eine Synagoge und Unschuldige schießen oder auf Ausländer. Da wird in Größenordnungen Munition beiseite geschafft für den »Tag X« von Polizisten, Angehörigen der Bundeswehr heimatschützenden Reservisten. »Einzeltäter« schreiben Drohbriefe, auch ein Landrat kann da mal Opfer sein. Im Kommando Spezialkräfte musste ein Kompanie »Einzeltäter« aufgelöst werden. Die Aufzählung ist unvollständig. Die Polizei sucht per Haftbefehl 481 Rechtsextremisten »Einzeltäter«. Sucht sie? …
»Einzeltäter« waren es, die, wie gerade erlebt, die unglaubliche Vielfalt von Angeboten von Kaiserreichs- und sogar Reichskriegsflaggen wahrnehmen, um damit auf den Treppen des »Herzstücks unserer Demokratie« zu posieren und zum Ausdruck zu bringen, dass sie die Demokratie sehr gern ersetzt hätten.
Angesichts dieser immer bedrohlicher werdenden Entwicklung unterstützen wir die Forderung an die Parlamentarier: Setzen Sie sich konsequent und mit Nachdruck für die Aufnahme von Antifaschismusklauseln in die Verfassungen der Länder ein. Werden Sie endlich tätig! Achten Sie das Grundgesetz, einschließlich des Artikels 139! Als Lesehilfe sei der Text des Potsdamer Abkommens empfohlen.
Es gibt nichts, was gemeinnütziger wäre, als der Antifaschismus!
Gerhard Hoffmann