Rede zur Ausstellungseröffnung „Ende und Anfang“
20. August 2015
Dass ich gebeten worden bin, zur Ausstellungseröffnung zu sprechen, erfüllt mich mit Dankbarkeit. Ich gehöre der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes- Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten an.
Um das Ende und den so schweren Anfang weiß ich und aus vielen Begegnungen weiß ich um Verweigerung und Widerstand während der Naziherrschaft.
Auf die Komplexität dieses Themas versucht die Ausstellung eine Antwort zu geben, die mit aussagekräftigen Fotos und Texten unterlegt ist. Finden muss die Antwort der Betrachter. Und er muss mit diesen Antworten leben.
Auf dem Umschlag des Begleitheftes, das, so wünschte ich, ein Schulbuch sein sollte, ist eine Reproduktion der Lithographie „Die Überlebenden“ von Käthe Kollwitz zu sehen.
Im Original ist dieses Blatt 56,2, cm hoch und 68,5 cm breit, also groß, weit sichtbar, überzeugend, entstanden 1923. Als Käthe Kollwitz diese Grafik arbeitete, zeigte sie ein Ende auf, indem sie die Opfer des Kriegs, die Ausgebluteten, die nicht sehen Könnenden auch, darstellte, zugleich aber den Anfang mit den schützenden Händen um die neue Generation. Die Künstlerin offenbart sich mit einer klaren Grundhaltung gegen den Irrsinn des Krieges. Geprägt wurde diese Haltung nicht unwesentlich durch den Tod ihres geliebten Sohnes Peter, der am zweiten Tag seines Fronteinsatzes im Ersten Weltkrieg gefallen war – nein, nicht gefallen, ein Opfer des Völkermordens wurde er. Die Mutter wurde zu einer entschiedenen Kriegsgegnerin, die mit reichen künstlerischen Mitteln jeder Sympathie für Krieg widerstand und dem Krieg jedwede Unterstützung versagte.
Folgerichtig entstand 1924 das aufrüttelnde und zugleich mahnende Blatt „Nie wieder Krieg!“ – das bekannte Plakat zum Mitteldeutschen Jugendtag in Leipzig im August 1924.
Vielleicht kannte das Plakat jener Arbeiter, der am 13. Juni 1936 auf der Hamburger Werft Blohm & Voss beim Stapellauf des Segelschulschiffs „Horst Wessel“ nicht den Arm zum Hitlergruß erhob. Ich sah das Foto vor einiger Zeit in der Zeitung. Ein Arbeiter inmitten Hunderter, die den rechten Arm erhoben hatten und das frenetische „Heil“ brüllten – die Münder scheinen entsprechend geöffnet. Der Arbeiter grüßte nicht, er verschränkte die Arme und seine Körpersprache lässt Ablehnung erkennen. Einer verweigerte in dieser Masse den Gruß, einer. Vielleicht wurde er einer der Hunderttausenden Häftlinge, die die Konzentrationslager ertragen mussten, vielleicht ist er einer der 56 000 Toten des Konzentrationslagers Buchenwald. Vielleicht aber gehörte er zu denen, die nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg wieder anfingen, mühselig, aber dem Leben zugewandt.
Beim Bedenken des Mutes dieses Einen kommt mir ein Lied in den Sinn: „S’ Brent“, gesungen von der jüdischen Künstlerin Lin Jaldati, in dem es heißt:
„Es brennt, Brüder, es brennt […]
Alles herum brennt schon
Und ihr steht und schaut herum
Mit den Händen im Schoß
Und ihr steht herum und schaut
Wie unsere Stadt brennt […]
Es brennt, Brüder, helft, es brennt! […]
Nehmt die Gefäße, löscht das Feuer
Beweist, dass ihr das könnt
Steht nicht nur herum, Brüder
Mit den Händen im Schoß
Steht nicht, Brüder, löscht das Feuer
Unsere Stadt brennt.“
Das Lied schrieb der jiddische Volksdichter Mordechaj Gebirtig (1877-1942). Er starb bei der Vernichtung des Krakauer Ghettos durch die SS.
Und so bin ich in der Gegenwart. Es brennt! Noch kein Stedt’l, aber Juden werden wieder gejagt. Sinti und Roma werden wieder gejagt und kommen sie ins gelobte deutsche Land, sind sie nicht vor Verfolgung Geflohene, sondern „Wirtschaftsasylanten“ –eine bundesdeutsche Wortschöpfung- die kein Asylrecht zu beanspruchen haben und, so heißt es, „zurückgeführt“ werden. Tatsächlich zwingt man sie zurück.
Menschen, die vor Verfolgung, Terror, Folter, Krieg ihre Heimat verlassen, werden in Sonntagsreden willkommen geheißen, ansonsten wird –auch amtlich- alles unternommen, ihnen dieses gelobte Land gründlichst zu verleiden.
Es brennt noch kein Stedt’l, aber Unterkünfte, die für die Unterbringung Geflohener gedacht sind, gehen in Flammen auf, überall in Deutschland. Die gängigste Reaktion lautet: „Der Staatsschutz ermittelt“. Was von den Ermittlungen zu halten ist, erfahren wir, wenn neue Meldungen über Brandschatzungen veröffentlicht werden. Ermittlungserfolge tendieren gegen Null.
In diesem Prozess der absoluten Verneinung des vom Grundgesetz ursprünglich „Asylrecht“ genannten Vorgangs spielen die neuen deutschen Faschisten eine bemerkenswerte Rolle. Sie verdeutlichen, dass sie das Morden und Niederbrennen abgeguckt und beherrschen gelernt haben, von den Alten, die in den okkupierten Gebieten mordend und vernichtend gehaust hatten – damals ohne Protest!
Heute heißt es noch, man müsse die Besorgnis der Menschen ernst nehmen. Die der Deutschen, versteht sich, die der anderen nicht so. Für die reichen Zelte der Bundeswehr, in denen die Soldaten in Afghanistan schließlich auch im Winter kampieren mussten – geht es eigentlich noch zynischer? In die Zelte gehören die neuen Sündenböcke, die „Asylanten“, wie sie herabwürdigend bezeichnet werden, die „Sozialschmarotzer“ vom Westbalkan und die „Zigeuner“, wie man die Sinti und Roma beschimpft.
Am Elend der Juden in den Jahren bis 1945 bereicherte sich „arisches“ Volk.
Mit dem Elend der Geflohenen werden Geschäfte gemacht und lukrative Gewinne eingefahren. Deutsche Tugenden? Nicht allein ein Naziproblem, ein fast gesamtgesellschaftliches haben wir.
Nicht unerwähnt möchte ich lassen, dass am 18. März 2003, also vor einem Dutzend Jahren der Bundesgerichtshof das Verbotsverfahren gegen die NPD aus formalen Gründen einstellte. Immerhin gibt es inzwischen einen neuen Antrag. Jahrzehntelanges Gezerre um eine mehrfach als verfassungsfeindlich charakterisierte Partei lässt am politischen Willen zweifeln, historische Verantwortung tragen, geschweige denn wahrnehmen zu wollen. Hält man sich das Unwürdige dieses Vorgangs vor Augen, ist festzustellen, dass das Parteienprivileg und die hoch gelobte Meinungsfreiheit als Deckmantel für politische Untätigkeit dienen müssen. Inzwischen haben Rassismus und Revisionismus eine bedrohliche Dimension erreicht.
Ja, es gibt zivilgesellschaftlichen Widerstand, vielleicht sind es mehr Menschen geworden, die nicht nur herumstehen, sondern bereit sind, alles zu tun, damit es nicht zum Feuer kommt.
Und zu diesen zu gehören, ist oft schwer. Die nicht gelernte Lektion aus zwei verheerenden Kriegen ist allein zivilgesellschaftlich kaum zu kompensieren. Aber wir, ich beziehe Sie hier ein, können zu Aufklärung, zum Lernen der Lektion beitragen.
Werden und bleiben wir bitte Aufklärer!
Und das im Sinne des Dichterwortes von Johannes R. Becher: „Menschen, lasst uns Menschen werden!“
Wünschen wir der Ausstellung viel wissbegieriges junges Publikum und viele Menschen, die bereit sind, den jungen Leuten Fragen zu beantworten, die sich aus der klugen Text- und Bildauswahl ergeben. Wünschen wir nicht nur, befördern wir den Besuch. Das sollte der beste Dank an die Ausstellungsmacher sein.
Gerhard Hoffmann, 16. August 2015