Rede zum Gedenktag an die Opfer des Faschismus 2016
15. September 2016
Am 11. September 1948, einem Sonnabend, fand im damals noch provisorischen Rathaussaal in der Frankfurter Logenstraße eine Außerordentliche Stadtverordnetenversammlung zur Ehrung der gefallenen Opfer des Naziregimes statt.
Oberbürgermeister Oskar Wegener begrüßte die Anwesenden . Im Protokoll heißt es:
»Zur Einleitung der Feier spielt das verstärkte Orchester des Stadttheaters unter der Leitung von Hans Borlisch den 1. und 2. Satz der 5. Sinfonie c-moll von Ludwig van Beethoven, der Schauspieler Rolf Schlösser liest aus >Reportage unter dem Strang< [von Julius Fučik] und der Schülerchor der 4. Grundschule singt >Die Gedanken sind frei<«.¹
(Erstaunlich, was im September 1948 in dieser Stadt möglich war.)
Dann ging der Bürgermeister Willy Jentsch ans Rednerpult, ein Überlebender des Naziregimes.
Am 6. März 1933 von den Nazis in das KZ Sonnenburg geprügelt, entließ man ihn im September 1933 wieder. Er nahm die illegalen Kampf auf , schuf die illegale sozialdemokratische Widerstandsgruppe »Max«. Im Dezember 1935 wurde er wieder verhaftet und zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach Verbüßung der Haftstrafe in den Zuchthäusern Luckau und Zwickau verbrachten ihn die Nazis ins Konzentrationslager Buchenwald.
Nach der Selbstbefreiung der Häftlinge des KZ kehrte er am 1. Juli 1945 in seine Heimatstadt zurück und stellte sich sofort dem Wiederaufbau zur Verfügung, wurde im Juli 1945 zum stellvertretenden Bürgermeister ernannt und im Oktober 1948 zum Bürgermeister gewählt. Ab Februar 1949 war er Oberbürgermeister der Stadt.
In seiner Rede sagte Willy Jentsch u. a.:
»Zur selben Stunde sind in Berlin Vertreter der internationalen Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes gemeinsam mit der deutsche Vereinigung […] versammelt, um derer zu gedenken, die in einem jahrelangen, schweren, opfervollen Kampf gefallen sind. […] Es gab vor und nach der Machtergreifung Hitlers in Deutschland eine große Anzahl Menschen, die ihm zujubelten und von ihm erwarteten, dass er es besser mache, als seine Vorgänger es in der Weimarer Republik tun konnten. Es gab aber auch eine Anzahl Deutscher, die vorsichtiger waren und erklärten, wir wollen erst abwarten, ob er es besser macht. Wenn es nicht der Fall ist, werden wir von unserem in der Weimarer Verfassung verbrieften Recht Gebrauch machen und ihn wieder weg jagen. Es gab aber auch eine große Anzahl deutscher Frauen und Männer, die schon vor der Machtübernahme Hitlers das deutsche Volk laut warnten und ihm ständig zuriefen: ˃Wer Hitler wählt, wählt den Krieg! Wenn Hitler zur Macht kommt, wird ein großes Unglück über das deutsche Volk kommen und über die Welt.˂ Die Mehrheit des deutschen Volkes hat diese Stimme gehört, ist aber nicht darauf eingegangen […]«²
Auf dieser Außerordentlichen Stadtverordnetenversammlung wurde einstimmig beschlossen:
– ein Mahnmal für die Opfer des Faschismus zu errichten
– Straßen und Plätze umzubenennen:
– Walter-Korsing-Straße
– Karl-Ritter-Platz
– Herbert-Jensch-Platz
– Karl-Sobkowski-Straße
– Paul-Feldner-Straße
– Albert-Fellert-Straße
– Hermann-Boian-Straße
11 Ehrengräber für Opfer des Faschismus zu pflegen.
Ein eindrucksvolles Dokument ist dieses Protokoll. Ich brachte es heute, 68 Jahre nach diesem denkwürdigen Tag an die Öffentlichkeit, weil es auf den damals verbindlichen antifaschistischen Konsens verweist, dessen es heute so dringend bedürfte und um den zu ringen es sich lohnt.
Leider gibt es wieder »eine große Anzahl Menschen, die zujubeln«. Schlimmeres zu verhindern, wird an alle, die Nationalismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Ausländerhass, Fremdenfeindlichkeit, Gewalt und Hass gegen Andere und Anderes verabscheuen, ideenreiche Anstrengungen erfordern. Wir werden rechten Extremisten und Populisten das Feld nicht noch einmal überlassen.
Auf der Außerordentlichen Stadtverordnetenversammlung vom 11. September 1948 gedachten die Anwesenden stehend
Walter Korsing Reichsbanner am 5. März 1933 von der SA ermordet
Karl Ritter SPD 1933 im KZ Sonnenburg ermordet
Heinrich Gritschke am 20. August 1934 von der SA ermordet
Karl Sobkowski KPD 1935 an den Folgen der Haft verstorben
Otto Eschenbach KPD 1936 an den Folgen der Haft verstorben
Hermann Boian Bibelforscher 1940 im KZ Sachsenhausen umgekommen
Ferdinand von Blume Bibelforscher 1940 im KZ Sachsenhausen umgekommen
Karl Klam Bibelforscher 1940 im KZ Sachsenhausen umgekommen
Reinhold Kirst KPD 1940 verstorben
Frau Klam Bibelforscherin 1941 im KZ Ravensbrück umgekommen
Richard Jankowski 1941 im KZ Dachau umgekommen
Richard Jahnke KPD 1942 ermordet
Joachim Steinicke KPD im KZ Esterwegen umgekommen
Fritz Jahn KPD 1943 im Gefängnis ermordet
Karl Gallasch KPD 1943 im KZ Sachsenhausen ermordet
Kurt Laubisch KPD am 1. September 1943 in Brandenburg hingerichtet
Herbert Jensch KPD am 5. Juli 1944 in Brest von der SS ermordet
Erich Schulz KPD im Herbst 1944 ermordet
Max Hannemann KPD 1945 im KZ Sachsenhausen ermordet
Nach Ende des Krieges starben an Haftfolgen
Paul Zenkert, Hermann Müller, Franz Liebig, Irmgard Markus, Felicia Pinnow
Gedacht wurde der 111 jüdischen Opfer aus Frankfurt (Oder) ³
Gerhard Hoffmann
1 Protokoll der Außerordentlichen Stadtverordnetenversammlung am Sonnabend, 22.9.48, um 14 Uhr im Rathaussaal – Logenstraße zur Ehrung der gefallenen Opfer des Naziregimes.
2 Ebenda.
3 Ebenda.