Redebeitrag Weltfriedenstag 2016

2. September 2016

Bertolt Brecht lässt in seinem Stück den Galilei im Schlussmonolog sagen:

» […] Die Bewegungen der Himmelskörper sind übersichtlicher geworden; immer noch unberechenbar sind den Völkern die Bewegungen ihrer Herrscher […]
Ich halte dafür, daß das einzige Ziel der Wissenschaft darin besteht, die Mühseligkeit der menschlichen Existenz zu erleichtern. Wenn Wissenschaftler, eingeschüchtert durch selbstsüchtige Machthaber, sich damit begnügen, Wissen um des Wissens willen anzuhäufen, kann die Wissenschaft zum Krüppel gemacht werden, und eure neuen Maschinen mögen nur neue Drangsal bedeuten. Ihr möget mit der Zeit alles entdecken, was es zu entdecken gibt, und euer Fortschritt wird doch nur ein Fortschreiten von der Menschheit weg sein […]«1

Galilei starb 1642, Brecht schrieb sein Schauspiel 1938/39, die Gedanken scheinen mir höchst aktuell.

Ich erinnerte mich des Textes und suchte ihn heraus, als ich davon las, dass 1128 Wissenschaftler vom türkischen Präsidenten als eine »Bande ignoranter, dunkler Gestalten« und »Landesverräter« bezeichnet wurden und dass er von der Justiz verlangte, alles Notwendige gegen den »Verrat« und die »Pseudo-Wissenschaftler« zu unternehmen. Ihre Unbotmäßigkeit bestand darin, dass sie einen Friedensappell unterzeichnet hatten, einen Appell zur Beendigung des Terrorkrieges, den das NATO-Militär der Türkei gegen die verbotene türkische PKK führt.
Das türkische »Komitee der Wissenschaftler für den Frieden« – eine »Bande ignoranter, dunkler Gestalten«. Sie sind die Dunklen, weil für den Frieden – der kriegführende Machthaber sieht sich als Lichtgestalt.2

Weder von der Friedensnobelpreisträgerin EU, noch aus dem Hort der Freiheit, Demokratie und Menschenrechte, Deutschland, war eine Stellungnahme zu hören oder zu lesen.
Wohl weil überall Krieg ist und weil sich daran so vortrefflich verdienen lässt – die aktuellen Zahlen beweisen es erneut.
Im Gefolge von Krieg herrscht nirgendwo Frieden, wie sich zeigt: Ex-Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien, Mali, Ukraine …
Um den Krieg nicht zu gefährden, wird gerüstet, in der Welt, in Europa. Deutschland rüstet, Polen, Lettland, Litauen, Estland, Ukraine, als neues NATO-Mitglied rüstet Montenegro. Schwere Waffen und 5000 US-Soldaten werden in Osteuropa und im Baltikum stationiert, am Raketenschirm wird gebaut, deutsche Soldaten stehen wieder an der Grenze Russlands. Der deutsche Außenminister zog die Meute auf sich, als er vom »Säbelrasseln« sprach. Säbelrasseln? – Krieg wird geschürt.
Wozu sonst werden die von den USA im deutschen Büchel stationierten Atomwaffen modernisiert?
Die letzte Entwicklungsphase für eine neue Version nuklearer Bomben ist vom Friedensnobelpreisträger Obama gebilligt worden. Nach Informationen des Spiegel soll die Waffe B61-12 2020 in Serienfertigung gehen und danach auch auf dem Luftwaffenstützpunkt in der Eifel stationiert werden. Bekanntlich lagern dort zehn bis zwanzig Atomsprengköpfe, für deren Einsatz die Bundeswehr »Tornado«-Kampfflieger bereit hält.3
Fünfzig solcher Nuklearsprengköpfe, B61, lagern im türkischen Incirlik, nahe der syrischen Grenze. Dort sind neben 1000 US-Amerikanern 240 Bundeswehrangehörige mit »Tornado«-Aufklärungsflugzeugen und einem Tankflugzeug im Einsatz.4
Großmanöver und Provokationen, Krieg als Mittel der Politik, politisches Abenteurertum lassen den Vorsitzenden der Münchner so genannten »Sicherheitskonferenz«, Wolfgang Ischinger feststellen: »Die Kriegsgefahr ist heute größer denn je.«5

Diese Gedankensplitter, marginal und unvollständig, lassen mich daran zweifeln, dass auch nur ein Teilchen dessen, was sich an Militarisierung der Gesellschaft in der Bundesrepublik zeigt, was im »Verteidigungspolitischen Weißbuch 2016« fixiert ist, was die Innenminister in ihrer »Berliner Erklärung« absonderten, in irgendeiner Weise den Menschen dient. Bundeswehreinsatz im Innern, Vorratsdatenspeicherung, finanzielle, materielle, personelle Stärkung der Geheimdienste, unkontrollierbare Vernetzungen, bewaffnete Hilfspolizisten, gleichgeschaltete Medien, private Notfallrüstung – vertrauensbildend ist das und vieles andere nicht.
Und ganz nebenbei sehr teuer. So werden die Kosten für die Übungsstadt in Sachsen-Anhalt statt der geplanten 115 Millionen Euro auf 140 Millionen steigen, weitere Kostensteigerungen sind zu erwarten. Die Bundeswehr baut sich einen urbanen Ballungsraum mit 520 Gebäuden, einer Altstadt, einer Hochhaussiedlung, einem Regierungs- und einem Elendsviertel, mit Industriegebiet, Kanalisation, Müllkippe, Verkehrsinfrastruktur mit U-Bahntunnel, Bahnstation, Flughafen, Straßen, Autobahnausfahrten, mit Kirche, Moschee und Friedhof, Stadtpark, Stadion, künstlichem Fluss und fünf Brücken.6 Zum Fakt fallen mir sofort sehr viele Fragen ein. Es wird der zivilen Aufmerksamkeit bedürfen, zu den Übungsabsichten und den Übenden Stellung zu beziehen.

Noch einmal Bertolt Brecht aus dem Galilei: »Gib acht, wenn du durch Deutschland kommst, die Wahrheit unterm Rock.«7

Lebensnotwendig für die Menschheit ist Frieden, dauerhafter, unanfechtbarer Frieden. Frieden schließt Nationalismus, Faschismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus aus.
Dafür am 8. Oktober 2016 in Berlin auf die Straße zu gehen, ist dringendes Erfordernis der Zeit, ein Schritt, den Gefahren zu begegnen.
»Ich hoff, die Menschheit schafft es«, lautet der Vers eines Gedichts von Peter Hacks.

Gerhard Hoffmann

1 Bertolt Brecht: Stücke. Band VIII. Aufbau-Verlag. Berlin 1957. S. 180f.
2 Vgl. RotFuchs. August 2016, S. 2.
3 Vgl. junge Welt, 13. August 2016.
4 Vgl. neues deutschland, Olaf Standke, 18. Juni 2016.
5 Vgl. RotFuchs, August 2016, S. 2.
6 Vgl. www.heise.de/tp/artikel/49/49281/1.html
7 Bertolt Brecht, a.a.O. S. 183