Rede der VVN BdA Frankfurt (Oder) zum 27.01.2009
28. Mai 2009
Der faschistische deutsche Staat nutzte das System der Zwangsarbeit als ein Mittel für die politische und für die wirtschaftliche Herrschaftssicherung.
Diesem Ziel dienend, arbeiteten staatliche Apparate und entwickelten vielfältige Formen der Zwangsarbeit.
Der Arbeitszwang für exakt definierte soziale oder rassische Gruppen in der Gesellschaft gehörte dazu. Und der Arbeitsdienst für Menschen in den von der Wehrmacht besetzten Ländern war ebenso Bestandteil des Systems wie der Einsatz von Häftlingen der Konzentrationslager in der deutschen Industrie.
Bereits vor Beginn des Krieges erfolgte durch die Nazis eine staatliche Regulierung auf dem Arbeitsmarkt. So war geplant, dass „alle Personen, die sich dem Arbeitsleben der Nation“ nicht anpassten, zwangsweise für die Aufrüstung beschäftigt werden.
So genannte „Arbeitsscheue“, Landstreicher und mehrfach Vorbestrafte, wurden gejagt, oft denunziert, von den Nazis in groß angelegten Razzien festgenommen. Man brachte sie in die Konzentrationslager und stigmatisierte sie als so genannte „Asoziale“. Zu dieser Häftlingsgruppe gehörten nicht selten Sinti und Roma, die keinen festen Wohnsitz hatten.
Zum Ende des Jahres 1938 begann der von den deutschen Arbeitsämtern organisierte „geschlossene Arbeitseinsatz“ zunächst für Juden, die Sozialunterstützung erhielten, später für alle Juden.
Nach Kriegsbeginn und dem Überfall auf Polen ordnete die deutsche Besatzungsmacht bereits im Oktober 1939 Zwangsarbeit für alle polnischen Juden an. Bei der Durchsetzung der drakonischen Maßnahmen, die teilweise in Gewaltexzesse ausarteten, spielten Wehrmachts- und SS- Einheiten eine wesentliche Rolle.
Anfang 1941 gab es in Polen und im Großdeutschen Reich ca. 800.000 jüdische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. In allen von den Deutschen okkupierten Ländern und Gebieten war für Juden Zwangsarbeit verfügt. Das betraf sogar das so genannte Wehrmachtsgebiet Tunesien.
In das System der Zwangsarbeit waren auch die von den Nazis so bezeichneten Fremdarbeiter integriert.
Anfänglich handelte es sich um den freiwilligen Arbeitseinsatz „arischer“ Österreicher. Zum Teil kamen Freiwillige aus westeuropäischen Ländern zum Arbeitseinsatz nach Deutschland.
Schrittweise folgten dann die „Verschickung“ österreichischer Juden, die Verpflichtung von Tschechen zur Zwangsarbeit, schließlich auch der Arbeitseinsatz polnischer Kriegsgefangener, was einen eklatanten Bruch international anerkannten Rechts darstellte.
Im Zusammenhang mit der Besetzung Polens führten Einheiten der deutschen Wehrmacht und der SS regelrechte Menschenjagden durch, um Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zu rekrutieren.
Im Sommer 1940 waren bereits über eine Million Polen als Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Deutschland. Diese vielfach unter unsäglichen Bedingungen vegetierenden Arbeitssklaven unterlagen dem Polensonderstrafrecht, mit dem absoluter Gehorsam erzwungen werden sollte.
Jede Widersetzlichkeit, wozu zum Beispiel auch eine als deutschfeindlich verstandene Äußerung gehören konnte, zog erhebliche Bestrafung nach sich.
Ab 1942 begannen die Einsatzstäbe der deutschen Wehrmacht systematisch mit der zwangsweisen Rekrutierung von Millionen Zivilisten aus der Sowjetunion.
Zuvor hatten deutsche „Herrenmenschen“ die meisten sowjetischen Kriegsgefangenen unter Bruch international verbindlichen Rechts durch Unterernährung und brutale Misshandlungen für einen Arbeitseinsatz unbrauchbar gemacht. Ersatz sollte durch Zivilpersonen geschaffen werden.
Die polnischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter bildeten gemeinsam mit den aus der Sowjetunion nach Deutschland gezwungenen „Ostarbeitern“ das untere Ende der menschenverachtenden rassischen Hierarchie.
Polnische und sowjetische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter waren zumeist in Lagern untergebracht und so von Kontakten zu Deutschen nahezu isoliert. Gleichwohl sah die deutsche Bevölkerung die bejammernswerten Gestalten, wenn sie zur oder von der Arbeit geführt wurden.
Polnische Zwangsarbeitskräfte mussten an ihre Kleidung eine spezielle, weithin erkennbare Kennzeichnung, ein großes P, tragen. Dieses Kennzeichen hatten sie von ihren erbärmlichen Einkünften selbst zu bezahlen.
Die aus der Sowjetunion Kommenden waren durch das überdimensionierte Kennzeichen „OST“ stigmatisiert
Ostarbeiter waren besonderer Ausbeutung, Drangsal und Erniedrigung unterworfen. Die Versorgung mit Lebensnotwendigstem hatte die deutsche Bürokratie auf ein Minimum reduziert, sodass vielfach nicht einmal die Arbeitskraft erhalten werden konnte.
Zum System der Zwangsarbeit gehörte die Vernichtung durch Arbeit. Besonders in den Konzentrationslagern bewirkten der ständige Terror und der unmenschliche Arbeitsdruck neben weiteren Faktoren hohe Verluste an Menschen.
Für die Organisation der Zwangsarbeit waren die Arbeitsverwaltungen verantwortlich. Polizei, Wehrmacht, SS und zivile Besatzungsbehörden waren in das System integriert.
Den Nutzen aus der Zwangsarbeit zog in erster Linie der faschistische Staat. Besonders profitierten Rüstungskonzerne und andere Großbetriebe vom massenhaften Einsatz billigster Arbeitskräfte, gleichermaßen hohen materiellen Nutzen zogen private und öffentliche Unternehmen aller Bereiche, zum Beispiel auch die Kirche. Oftmals war es der Handwerksmeister oder der Bauer, aber auch die Offizierswitwe, die sich, wie es hieß, „ihren Iwan “ oder „ihre Mascha“ hielten.
Insofern war der Einspruch berechtigt, der 1999 erfolgte, als in den Medien eine seit den frühen 1950er Jahren bekannte Liste mit Namen von 2.498 Unternehmen veröffentlicht wurde, die in der Nazizeit Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ausgebeutet hatten. Denn diese Liste konnte nicht vollständig sein.
Im Verlauf des Nürnberger Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher ermittelten die Alliierten die Zahl von 12 bis 14 Millionen Menschen, die bis Kriegsende Fronarbeit leisten mussten. Spätere Untersuchungen nennen die Zahl von mehr als 20.000 Zivil- und Arbeitslagern, in denen 10 bis 12 Millionen Arbeitssklaven unter unsäglichen Bedingungen vegetieren mussten.
Diese Menschen waren in ihren Heimatländern oft brutal zusammengetrieben worden. In großen Transporten brachten sie Züge der Deutsche Reichsbahn nicht selten auf den längsten Strecken „ins Reich“, wie es hieß. Ausgehungert, Durst leidend, verdreckt, nach entwürdigender Behandlung verstört und verunsichert, unkundig der alles beherrschenden deutsche Sprache, eingeschüchtert durch die bewaffnete Bewachung und zerfressen von Heimweh und Zukunftsangst, gerieten sie in das unmenschliche System der Zwangsarbeit, von der Herrenrasse erdacht und ohne Skrupel durchgesetzt.
Alles, was Freude am Leben ausmacht, war den zumeist jungen Frauen und Männern unter Androhung schärfster Strafen untersagt. Vielen von ihnen war durchaus bewusst, dass sie mit ihrer Arbeit dazu beitrugen, den Krieg gegen ihre Heimatländer zu ermöglichen und zu verlängern.
So, wie die Kriegsfurie immer neue Länder schluckte, kamen neue Kinder, Jugendliche, Frauen, Männer, sofern sie nur als ausbeutungsfähig angesehen wurden, nach Deutschland zur Zwangsarbeit.
Für die oft schwersten und fast unzumutbaren Arbeiten erhielten sie ein Entgelt, das eher Symbolwert hatte. Eine Entlohnung erhielten sie nicht.
Wer sich an diesen beklagenswerten Menschen irgendwie bereichern konnte, tat es.
In Einzelfällen gab es Zuwendung von Deutschen. Das war unbedingt die Ausnahme.
Jegliches Unrechtsbewusstsein war getilgt, die ideologische Beeinflussung wirkte massiv auf die Menschen.
Dort, wo in irgendeiner Weise Beziehungen zwischen Deutschen und Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern entstanden, liefen die Beteiligten Gefahr, nachhaltig bestraft zu werden.
In einem Dokument der Geheimen Staatspolizei heißt es:
III. Es ist verboten:
1.)Verlassen des Ortspolizeibezirks
2.)Beurlaubung während der Nacht. Ausgang muss spätestens bis 21.00 Uhr beendigt sein.
3.)Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel über den Ortspolizeibezirk hinaus.
4.)Teilnahme an deutschen Veranstaltungen.
5.)Besuch von Theater und Kino, wenn Reichsdeutsche daran teilnehmen.
6.)Besuch von Gaststätten
7.)Besuch deutscher Kirchen, auch der bestehenden orthodoxen.
8.)Besitz und Benutzung von Fahrrädern.
9.)Besitz und Benutzung von Fotoapparaten
10.)Besitz von Führerscheinen.
11.)Bedienung eines Rundfunkgerätes.
12.)Besuch von Friseurgeschäften
IV. Grundsätzlich ausgeschlossen sind:
1.) Eheschließungen zwischen Reichsdeutschen und Ostarbeiter. – Eheschließungen von Ostarbeitern mit anderen Ausländern sind unerwünscht.
2.) Schulbesuch von Ostarbeiterkindern und Berufsschule für Jugendliche.
V. Nicht zulässig sind
1.) Urlaub- und Familienheimfahrten.
2.) Verkauf von Mangelware an Ostarbeiter
3.) Erweisung des „Deutschen Grußes“ durch Ostarbeiter
VI. Es sind bei der Staatspolizeistelle zu melden
1.)Flüchtige Ostarbeiter Vermerk, ob Rückführung erwünscht ist.
2.)Aufgegriffene Ostarbeiter. Bericht. – Zuführung an das Arbeitsamt oder sonstiger Arbeitseinsatz sind unzulässig.
3.)Ermittlungsvorgänge zu Straftaten. – Sie sind keinesfalls den Justizbehörden vorzulegen.
4.)Fälle von Geschlechtsverkehr mit Reichsdeutschen.
Wer gegen solche Festlegungen verstieß, wurde hart bestraft. Prügelstrafe, Arbeitserziehungslager, Konzentrationslager, Hinrichtungen gehörten zu den Strafen. Der Verweis darauf, Ermittlungsvorgänge keinesfalls den Justizbehörden zukommen zu lassen, ist durch das Sonderstrafrecht, das das Standrecht einschloss, zu rechtfertigen gewesen.
Für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurde erst der 8. Mai 1945 zum Tag ihrer Befreiung.
Bemerkenswert ist, dass es in Frankfurt (Oder) um das Thema Zwangsarbeit bisher sehr still war.
Hier, auf den Gleisen aus dem Osten, kamen die Güterzüge an, vollgepfercht mit Menschen. Hier saß die Reichsbahndirektion Ost, hier wurden die Züge abgefertigt zur Weiterfahrt entsprechend der Verteilungspläne. Hier lebten die Eisenbahner mit ihren Familien und hier traten sie ihre Dienste an.
In Frankfurt (Oder) hausten zum Beispiel Zwangsarbeiterinnen aus der Ukraine und sie wurden täglich durch die Hindenburgstraße (heute August-Bebel-Straße) zur Georg-Richter-Straße getrieben, wo sie in der Konservenfabrik arbeiten mussten. Auch in anderen Betrieben waren Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Dass daran keine Erinnerung besteht, scheint nahezu ausgeschlossen.
In Güldendorf existierte ein Krankensammellager. Nicht mehr arbeitsfähige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurden dort „gesammelt“. Sie verreckten elendig. Die Gedenkstätte auf dem Güldendorfer Friedhof sollte die einzige Erinnerung daran sein, dass dort massenhaft Menschen starben, dass es dort für Kinder und Säuglinge keinen anderen als den Weg in den Tod gab?
Dass die Gedenkstätte in Güldendorf vergammelt, liegt nicht an fehlender Pflege durch sich verantwortlich fühlende Menschen aus Güldendorf, sondern daran, dass sie im Bewusstsein der Öffentlichkeit nicht vorhanden ist.
Unweit Frankfurt (Oder) befand sich das Dorf Schwetig. In unmittelbarer Nachbarschaft hatte die Gestapo Frankfurt (Oder) das Arbeitserziehungslager mit dem idyllischen Namen Oderblick eingerichtet. In das Lager wies die Gestapo überwiegend Zwangsarbeiter ein, die nach damals gültiger Rechtsauffassung straffällig oder in irgendeiner Weise widersetzlich waren. Transporte in das Lager wurden in Frankfurt (Oder) zusammengestellt, im Gestapo-Gefängnis an der Oder, der heutigen Musikschule. Von hier mussten die Häftlinge über die Brück in die Dammvorstadt und von dort nach Schwetig. Sie liefen unter strenger Bewachung – unbemerkt?
Im Lager herrschten grausame Bedingungen. Der Gestapo-Chef von Frankfurt (Oder) nahm persönlich an Hinrichtungen teil, immer in aufwändiger Begleitung. Die Häftlinge mussten an der Autobahn und in der Landwirtschaft arbeiten. Zum Ende des Krieges wurde in diesem Lager ein Massaker angerichtet, kranke Häftlinge wurden verbrannt.
Der Gedenkort im heutigen Swiecko gehört in das Bewusstsein der Öffentlichkeit.
Diese Beispiele sind wenige ausgewählte aus einer Vielzahl.
Sie sollen deutlich machen, dass es zu den menschenunwürdigsten Verbrechen der deutschen Faschisten gehörte, Kinder, Jugendliche, Frauen und Männer zu verschleppen, um sie in Zwangsarbeit zu pressen. Und es soll eine Thematisierung dieser auch in Frankfurt (Oder) begangenen Verbrechen befördern.
Möge die heutige Veranstaltung zum Internationalen Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus dazu beitragen, dass die Menschen unserer Stadt dieses Thema sensibilisiert annehmen.
Wir wünschten uns für unsere ehrenamtliche Arbeit zu diesem Thema öffentliche Aufgeschlossenheit und wir brauchen die Unterstützung der Menschen in der Stadt.
Gerhard Hoffmann, Januar 2009